Krass, krasser, Tough Guy

Das Tough Guy Rennen ist ein Hindernislauf in der Nähe der Stadt Wolverhamtpon bei Birmingham das seit 1987 stattfindet. Es wurde von Billy Wilson (alias Mr. Mouse) entwickelt der früher bei den königlichen Grenadier Guards die Trainingscamps für die Elitegruppen entworfen hat. Das Rennen geht über eine Distanz von ca. 18 km auf einem 150 ha großen Grundstück mit zahlreichen Hindernissen. Dieses Jahr fand die 30. und letzte Ausgabe dieser Veranstaltung statt. Und wir waren dabei!!!!!

Nach dem der erste Schock -verursacht durch den Gesamteindruck des „Hotels“ und einem Zimmerwechsel durch mehrere Klimazonen von keiner Heizung mit Minusgraden über subtropische Wäscheküche bis Wüstenklima in Zimmer Nummer 3- überstanden ist gehts zur Streckenbesichtigung. Dank der vorherigen Akklimatisierung im Hotel „The hell and beyond“ ist es egal dass es statt der prognostizierten golfstrombedingten + 12 Grad nur + 4 Grad hat.

Das „Schlachtfeld“ besteht aus zahlreichen Hindernissen die noch original wie vor 30 Jahren da stehen, nur etwas grünlicher als damals weil moosbedeckt. Herausstehende Nägel und wenig vertrauenserweckende Fallnetze unter den hohen Hindernissen machen Mut. Und irgendwie gibt es sehr viel Wasser. Zu viel Wasser….

In den sogenannten „Killing Fields“ die in der Mitte der Strecke lauern geht’s dann richtig zur Sache: ein sympathisches Obstakel mit dem Namen „Vietcong tunnels“ weißt den Weg durch lange schlammige Röhren hin zum letzten Bereich dieses einladenden Parcours ab dem eine Badekappe wohl sehr sinnvoll sein wird. Und überall der freundliche Hinweis des Veranstalters: HIGH RISK! YOUR RISK! YOUR CHOICE! Alles klar!

Vielleicht war es doch keine so gute Idee den Zettel mit dem Totenkopf bei der Anmeldung – den wir laut der freundlichen jungen Dame nicht lesen brauchen sondern nur „just sign here- it´s all right“-  gemäß dem Herdentrieb einfach ungelesen zu unterschreiben? War das wirklich ein Haftungsausschluss nach unserem Verständnis oder eher ein Einverständnis zum „Ich möchte dem Veranstalter keine Mühe machen- wenn mir was passiert lasst mich einfach da liegen wo ich umfalle!“? Vertrauen wir mal darauf dass wir in Europa sind – noch!

Die Umkleiden sind mit kuscheligem Stroh befüllt in einem sehr heimelig anmutenden Stall. Für die Kleidung wurden liebevoll Nägel in die Wand gehämmert. Die Duschen und Tröge laden dazu ein den Lauf schnell zu beenden um sich anschließend mit einer kalten Dusche von den Strapazen des Rennens zu belohnen. Ladies Toiletts sind in ausreichender Zahl auf dem Weg zur Strecke vorhanden. Ich weiß nur eins: Egal wie dringend, am Wettkampftag muss ich nicht!!!!!!

Entgegen der Wettervorhersage ist es dann am nächsten Tag noch ein wenig kälter. Eine leichte Eisschicht auf den stehenden Gewässern lässt die Temperatur im Wasser grob erahnen. Es ist nebelig trüb und die Sonne werden wir heute mit Sicherheit nicht sehen. Der Start ist geplant um 11 Uhr. Um einen guten Parkplatz zu bekommen sind wir schon zwei Stunden früher auf dem Schlachtfeld eingetroffen und suchen uns einen guten Platz im Stall um unsere Rucksäcke zu deponieren. Es ist schön kalt – jetzt schon. Deshalb ist frühzeitiges Warmlaufen angesagt. Die Entscheidung bei der Wahl der Wettkampfbekleidung fällt tatsächlich auf „Neoprenanzug“ – sowas hab ich zuvor noch nie getragen. Interessantes Gefühl, leicht beengt aber sehr warm mit Tendenz zu „heiß bei Bewegung“! Und natürlich eine Badekappe!

Gemäß deutscher Pünktlichkeit stehen wir kurz vor 11 Uhr am besagten Startblock für die „Mr. Mouse Squad“. Das ist dank eines nicht ganz günstigen Upgrades der Startblock direkt hinter den fünf Verrückten die ein personalisiertes Jesuskreuz durch den Parcour schleppen wollen (die spinnen die Briten) und der noch teureren „Front Squad“. Die Masse der Läufer ist hinter uns auf einem Hügel, den sie erst noch herrunterstürmen müssen bevor sie auf der Strecke sind. Leider verschiebt sich der Start auf unbestimmte Zeit. Nicht schlimm, das Wetter ist ja genau richtig dafür. Und die Angst steigt mit jeder Minute nachdem die breite Masse in unserem Rücken durch laute Kriegstrommeln und Kampfgeschrei angeheizt wird. Eins ist klar: wer hier unten an der Front nicht schnell genug wegkommt hat das Rennen gleich hinter sich. Die trampeln uns nieder! Es werden mehrere Rauchbomben gezündet und eine Kanone für den Startschuss von zwei Pferden herangezogen. Bin ich wirklich bei einem Lauf oder doch irgendwo im Kriegsgebiet? Ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher.

Das Upgrade für den „Mr.Mouse“ Startplatz hat sich bezahlt gemacht: Die angeheizte Masse hinter uns ist nicht mehr aufzuhalten und nach ein paar einzelnen Mutigen drängen sie langsam aber sicher alle den Hügel herunter auf uns zu. Die Marshalls, die für Ordnung sorgen sollen sind so in der Unterzahl und auch irgendwie planlos, dass keiner die testosterongesteuerte Masse aufhält. Irgendwann stehen alle durcheinander an der Startlinie. Ein Start in den vorgegebenen Zeitabständen ist plötzlich unmöglich geworden. Die Masse tobt. Hoffentlich geht’s bald los sonst sterben die Ersten schon hier.

Nach einer gefühlten Ewigkeit dürfen wir los. Die Kanone wird abgeschossen und dann bricht das Chaos aus. Wer im Weg steht wird gnadenlos umgerannt. Farbige Rauchbomben machen Sehen und Atmen unmöglich. Schnell weg! Das Feld bewegt sich auf die ersten Kilometer zu die viel Laufstrecke und ein paar moderate Hindernisse beinhaltet. Eins davon ist einer der fünf total Durchgeknallten mit dem mannshohen Kreuz der mitten auf dem Weg läuft. Der ist nach 45 Minuten Vorsprung erst bei km 2, na dann.

Den Tipp eines erfahrenen Mitstreiters „ Stay as dry as long as you can“ versuche ich zu beherzigen. Die ersten Wasserhindernisse sind nur bis zur Hüfte, das ist noch ok. Richtig los geht’s bei der „Flussdurchquerung“ die man nicht einmal sondern gefühlte 15 mal machen muss. Immer wieder auf der einen Seite raus und auf der anderen rein. Aus-und Einstieg sind schon so verschlammt dass es nicht immer leicht ist. Aber freundliche Briten helfen viel und gern. Bis jetzt ist es ja noch ganz lustig, leider spüre ich meine Zehen schon nicht mehr. Aber das kommt wieder hoffe ich. Weiter geht’s durch viel viel Matsch und dazwischen sind immer wieder Netze zum Kriechen. Alles wiederholt sich sehr oft. An der Strecke stehen bemalte Männer in Schottenröcken die uns unermüdlich anfeuern. In den USA nennt man die Cheerleader. Die Stimmung an der Strecke ist generell sehr gut. Wir werden ständig angefeuert und es sind viele Zuschauer da, obwohl es bereits angefangen hat zu Regnen. Das spüre ich schon gar nicht mehr und nehme es nur am Rande war. Bis jetzt ist es ja noch ganz lustig, oder….?

Nach den ersten höheren Klettergerüsten der Dragon Wall laufen wir in Richtung der Killing Fields. Vorher müssen wir aber noch durch zahlreiche Matschlöcher – immer und immer wieder. Ich weiss schon gar nicht mehr auf was ich laufe. Füsse spüre ich keine mehr…. Ob sie noch das sind?

Das Highlight ist ein See, oder doch eher ein Tümpel, durch den man gerade so noch gehen kann mit dem Kopf über dem Wasser. Mittig befinden sich vier Querbalken unter denen man durchtauchen muss. Vier mal mit dem Kopf unter Wasser – Time for the Badekappe! 🙂 Endlich! Es kostet Einiges an Überwindung, die Atmung gerät kurzeitig ins Stocken nach dem Auftauchen, das Herz bleibt fast stehen. Das ist Qual pur. Und die ganze Zeit bekommt man eine Kamera direkt ins Gesicht gehalten. Will das wirklich jemand sehen? Vielleicht in England. Ich rede mir ein dass jetzt das Schlimmste vorbei ist. Die Kälte ist jetzt nahezu unerträglich. Es folgen weitere Wasserhindernisse die schier endlos scheinen. Aber der Kopf bleibt dabei immerhin über Wasser.

Plötzlich steht da eine Frau vor mir und fragt lächelnd: „Jelly Belly“? Ich erschrecke! Sie will mir ein sehr bunt aussehendes Etwas in den Mund werfen. Dann realisiere ich: es stehen noch mehr von diesen bereitwilligen Helfern da und werfen verzweifelten Läufern Bonbons in die Kehle. Kurz denkt der Hygienefanatiker in mir:“ Oh Gott, wer weiß was sie wohl schon alles in der Hand hatte vorher!“ Dann werfe ich einen Blick zurück und sehe den schwarzen Tümpel mit dem starken Verwesungsgeruch durch den ich eben gekrochen bin. Ich streiche sofort den Gedanken und lasse mir dankbar das Jelly Belly in den Mund werfen. Herrlich! Ausser eiskaltem Wasser unbekannter Herkunft gab es bisher keine weitere Verpflegung auf der Strecke. Das bunte Jelly Belly gibt neue Hoffnung die leider in der nächsten Kurve sofort wieder zerstört wird. Das Wasserhindernis mit dem Sprung von einer Planke hatte ich komplett verdrängt. Oh nein!

Mein Mut sinkt. Ich stehe mit der Badekappe am Rande der Planke und will nicht springen. Viele zitternde Irre stehen hinter mir und drängeln. Es beseelt mich nur der Gedanke: Ich will es hinter mir haben! Und dann springe ich im klassischen Stil mit zugehaltener Nase und hoffe dass DAS keiner gefilmt hat. Dann ist alles nur noch wie im Rausch: ein paar Rattenröhren, ein bisschen Stacheldraht, Strom und noch viel mehr Wasser. Und endlich das Ende der Tortur, das Ziel mit der Aufschrift:

I AM A TOUGH GUY.

Mir egal! Es ist vorbei! Tatsächlich gibts da was Warmes zu trinken. Ich zittere wie noch nie in meinem Leben zuvor. Die Umkleiden stehen dank des anhaltenden Regens vollkommen unter Wasser. Nasses Stroh hat auch was. Hey, I AM A TOUGH GUY!

Die Entscheidung fällt gegen die einladenden Duschen im Gemeinschaftstrog und das Motto ist: schnell zurück zum Höllenhotel eine warme Dusche nehmen.Leider dauert die eigentlich 15-minütige Rückfahrt 2,5 Stunden weil das Auto auf dem Park-Acker im Matsch stecken bleibt, wie viele andere auch und die Rückfahrt etwas länger werden lässt. Aber darauf kommts auch nicht mehr an!

Hey, I AM A TOUGH GUY!

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